Ich weiß nicht, ob manche die Hoffnung auf die weiteren SOKRATES-Folgen aufgegeben haben oder sich sogar darüber freuen, dass solange nichts mehr zu lesen war. Aber der Fortsetzungsroman nimmt natürlich seinen Gang am Rande des Wahnsinns. Folge 374:
Keine Paranoia in diesem Fall! Auf dem Parkplatz hinter der Villa waren mehrere Polizeiwagen aufgefahren, eine Aufgeregtheit sondersgleichen. Auch Zivilfahrzeuge kamen, mehrere Vans mit abgedunkelten Scheiben und Wagen der Spurensicherung. Es klopfte an seiner Tür. Der Theaterphilosoph zuckte zusammen. Damit hatte er nicht gerechnet. Was auch immer sich draußen abspielte, niemals hätte er es mit seiner eigenen Person in Verbindung gebracht. «Herr Nachtigall, ich bin Kriminalassistent Oberländer, habe ein paar Fragen an Sie.» Er hatte geklopft und ohne einen Aufruf abzuwarten hatte er die Tür aufgemacht und stand nun vor dem Theaterphilosophen. «Kennen Sie eine Ayleen Heersold?» Was hatte es zu bedeuten? Uri Nachtigall zögerte zu antworten, war verwirrt, vermochte gar nicht zu erkennen, welche Absicht mit dieser Frage ein Polizeibeamter verfolgen mochte. Er nickte verwirrt: «Ja, ja...» «Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?» Im Ton des Polizisten lag nun die Verdächtigung so klar, dass Uri Nachtigall weiche Knie bekam und sich auf seinen Stuhl am Schreibtisch fallen ließ. «Was ist mit Ayleen?» Der Kriminalassessor... oder was war er doch gleich, machte keine Umstände, mit der Tür ins Haus zu fallen: «Sie ist aufgefunden worden im Gartenhaus keine 200m von hier.» Er beobachtete scharf die Reaktionen seines Befragten. Verstört, durcheinander, verwirrt lauteten die Attribute, mit denen er ihn später beschreiben würde und sein Chef zu bedenken geben: «Schon mal daran gedacht, dass der Mann psychisch labil sein könnte?» Der Theaterphilosoph Uri Nachtigall – psychisch labil? Nein, das hätte er von sich selbst niemals gesagt. Natürlich war er angeschlagen – ganz ohne Zweifel; schließlich hatte er von diesem Brutalokommissar zweimal was auf die Nase bekommen, das Nasenbein zertrümmert. Ja, und dazu die Nachricht, er sei verhaftet – da darf man doch wohl sich angeschlagen fühlen! Aber psychisch labil war er doch deswegen noch lange nicht. Labilität bedeutet: es kann kippen. Der Wahnsinn kan ausbrechen, seine vom Bewusstsein der Normalität ihm verliehenen Grenzen überschreiten in den Alltag und in die Wahrnehmungen des alltäglichen Bewusstseins überschwappen. Wie eine randvolle Tasse Milchkaffee, die man die Treppen hoch balanciert und sich Mühe gibt, nicht überschwappen zu lassen. Das kann kaum gut gehen, ein paar Schlucke werden auf der Untertasse oder auf dem Teppich landen, falls keine Untertasse vorhanden. Aber was sollte dieser Vergleich mit der Untertasse? Gab es eine Möglichkeit, um im Bild zu bleiben, den Schaden gering zu halten, wenn der Wahnsinn in den Alltag schwappte? Oberländer wiederholte seine Frage, ohne in diesem Moment daran zu denken, dass die befragte Person womöglich nicht alle Tassen im Schrank hatte, so wie er das ausdrücken würde, wie sein Schnabel eben gewachsen war. Wozu all das geschwollene Geschwätz? Das hochtrabende? Wozu unnötig psychologisierend Rücksicht nehmen?
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Dinofino ~ O-Reh Gano