Siehst du die Münder? - Sie sprechen!
Solange wir Mensch sind, ebbt es nicht ab, dieses Gewirr aus Stimmen und Sprachen.
Die Münder sind Schwellen zwischen "innen" und "außen", die Lippen sind Türen.
Wenn uns etwas berührt und in Bewegung versetzt, vernetzen wir Zeichen.
Dann schreiten die Laute hinüber nach draußen;
dann flattern die Zungen wie Fahnen;
dann schicken wir Schall auf die Reise und heften die Hoffnung auf Nachhall daran.
Siehst du die Münder? - Sie sprechen!
Sie suchen danach, sich Gehör zu verschaffen und trommeln auf Fellen;
sie tanzen im Rhythmus und beben im Puls ihrer Zeit;
sie falten Gedanken zu Klängen und malen aus Klangfarben Bilder.
Sie malen Bilder so, wie wir sie sehen, vor unserem geistigen Auge.
Dann kehren sie unsere Haut wie eine Leinwand nach außen, darauf ein Bild von uns selbst in der Welt.
Siehst du die Münder? . Nicht wenige schweigen!
Es hat ihnen etwas die Sprache verschlagen. Es fehlt diesen Mündern an Worten.
Sie atmen, sie essen, sie trinken, doch sprechen sie nicht.
Fast scheint es, als fehle auf jegliche Frage die Antwort, als fehlten die Fragen fast selbst, da kein Mund sie je stellt - Was bleibt ist der Hunger und Durst und die Stille dahinter.
So schweigen sie sich durch den Tag;
so schweigen sie sich durch die Tatsachen, ohne etwas zu sagen;
so nehmen sie hin, was ihnen die Welt abends zum Fraß auf die Teller serviert.
So verstreichen die Tage.
Siehst du die Münder? - Sie stimmen ein Lied an!
Eine Barrikade aus Mündern stellt sich dort singend Armeen verschlossener Ohren entgegen. Sie singen und fordern und kehren die Häute nach außen, darauf ein Bild von uns selbst in der Welt - Siehst du sie nicht? All die Münder, die sich da öffnen und schließen, im Takt.
Noch hegen sie Hoffnung, dass Worte im Kampf mehr Gewicht haben könnte als Blei, noch falten sie ihre Gedanken Klängen.
Sie ringen nach Luft; sie ringen nach Zeichen, die grenzenlos sind; sie träumen davon, dass am Ende mehr als nur Sprachlosigkeit bleibt; sie ebben nicht ab, all die Stimmen; sie geben den Blick frei nach innen.
Sie lachen und schreien und küssen und streiten.
Die flatternden Zungen bewegen die Lippen; sie schicken den Schall auf die Reise und heften die Hoffnung auf Nachhall daran.
So stellen sie sich dem Verstummen entgegen; so weigern sie sich, zu vergessen.
Siehst du die Münder? Siehst du sie nicht? - Es sind Münder von Menschen und sie sprechen für sich.
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