Ich möchte Dir aus meinem heutigen Tagebuch eintrag antworten, weil ich 60 Jahre alt bin und mich deine Frage noch immer beschäftigt. Vielleicht bekommen wir doch noch eine Ahnung davon, was zu tun sei; die einfache in Worte gefasste Regel dazu stand schon vor dem Eingang zum Delphischen Orakel: ERKENNE DICH SELBST!
Ich beginne meinen Tag, gut ausgeschlafen, um kurz vor sieben mit Kaffeekochen und etwas Geschirrspülen. Ich arbeite immer nur Häppchenweise, ganz egal, was ich mache. Ich mache es nur so lange, bis ich keine Lust mehr habe. Abwechslung in den Tätigkeiten und Abläufen laugt nicht so aus, ich bleibe entspannt und kräftig und alles kommt voran und ich habe ein sehr gutes Gefühl dabei, genieße die Freiheit, meinen Rhythmus zu haben und nicht den der Galeere. Das Gefühl zu haben, im natürlichen Fluss des Lebens sein zu dürfen und den Kräften zu vertrauen, die das Leben fördern und Fügungen sich ergeben lassen, stärkt mich. Gelassen und furchtlos stelle ich mich dem, was sich mir in den Weg stellt, aber erst dann und nicht in Vorwegnahme irgendwelcher ausgedachten Eventualitäten. Voraussicht und ängstliches Ausmalen von Dingen, die passieren könnten, ist nicht dasselbe! Ich will nicht leichtsinnig werden, aber ich will mich auch nicht in Eventualitäten ängstlich verlieren. Das alles lerne ich durch die Spaziergänge mit Diego, wie ich auch vielen Menschen begegne und mein Kommunikationsverhalten wächst. Das Gefühl, in der Welt und im Leben zu stehen und meine eigene wie eigenwillige Position zu finden, ist mir wichtig. Zugleich habe ich gestern Abend das Gefühl einer Ahnung, warum ich nicht im Establishment des Kulturbetriebes ankomme, als ich mir die Talkrunde mit Roger Willemsen und Rüdiger Safranski im Schweizer Fernsehen auf Youtube anschaue:
https://youtu.be/zIKGEc-TceA Ich suche etwas anderes; ich suche das Leben, das sich unter der konventionellen Ordnung abspielt. Das Leben, das die Konventionen und ihre Ordnungen und Ordentlichkeiten hervorbringt und Normen schafft sowie Normen gehorcht. Ich will aber, warum auch immer, hinter dieses Gehorchen kommen, hinter die Normen, Konventionen, Vorschriften, Regeln. Ich will die inneren Regeln der Vitalfunktionen erkennen und danach mich neu ausrichten wie ein Flussschiffer, der seinen Kahn im Fluss steuert - selbstbestimmt. Ich habe intuitiv eine genaue Ahnung, wohin ich will. Das war nicht immer so. Das erscheint mir neu. Bisher spürte ich immerzu und immer nur, wohin ich intuitiv doch nicht will, obwohl mir das Bewusstsein sagte, dass dort das zu erstrebende Ziel sei. Das zu erstrebende Ziel deckte sich keineswegs mit dem von mir intuitiv gesuchten. All die Prokrastination entstand dadurch, dass mir die Deckungsgleichheit zwischen meinem Willen und dem mir (äußerlich) Vorgestellten fehlte. Es waren meine und Es waren meine und doch auch nicht meine Vorstellungen, weil es auch internalisierte Fremdvorstellungen waren. Gesellschaftliche Vorgaben, Konventionen, wie “man zu sein hat”...
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