[1/2] «Kennengelernt» klingt mir zu allumfassend. Ich habe nicht Jahre lang in einem anderen Land gelebt, sondern habe insbesondere südostasiatische Länder überflogen, weil mich gerade jene Gesellschaften besonders interessieren. Thailand ist m.E. kulturell sehr interessant, da es von ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Einflüssen geprägt wurde – sowohl durch die hinduistische Kultur Indiens, als auch durch die chinesische Kultur (insbesondere Konfuzianismus), allerdings nicht in dem Maße wie Việt Nam, welches zeitweise komplett von China annektiert wurde.
Die südostasiatische Kultur insgesamt, so divers sie auch ist, ist stark geprägt von kollektivistischen Vorstellungen. Die Weltanschauungen und Religionen, aus denen diese Orientierung stammt, unterscheiden sich dabei allerdings signifikant. Der Theravāda-Buddhismus, der u.a. in Thailand die dominierende Religion ist, hat einen stärkeren Individualbezug als andere Strömungen des Buddhismus'. Self-liberation (die Literatur, die ich über Buddhismus lese, ist überwiegend Englisch, deshalb traue ich mich nicht, die Übersetzung ins Deutsche als «Selbstbefreiung» vorzunehmen, da das eventuell etwas sinnverzerrend sein könnte) ist eines der Hauptkonzepte innerhalb des Theravāda-Buddhismus, wohingegen in anderen Strömungen der collective liberation eine größere Bedeutung zugemessen wird.
In der thailändischen Kultur merkt man diese Unterschiede als Außenstehender tatsächlich nur in Nuancen. Der Respekt gegenüber anderen Menschen ist etwas, das alle südostasiatischen Kulturen gemein haben. Ein Grund, weshalb das Tragen von Masken während einer Jahrhundertpandemie dort auch nicht auf derart kindische Reaktionen getroffen ist wie hierzulande.
Erst jetzt, da ich mich eingehender mit dem Taoismus auseinandersetze, beginne ich zu verstehen, warum ein extrem abgewandeltes Konzept des Kommunismus' so gut in asiatischen Kulturen, allem voran China, ankam. Und ich verstehe auch, weshalb der reale Kommunismus ziemlich wenig mit der Vision zu tun hatte, die Marx und Engels skizzierten. Von großer geopolitischer Relevanz war in diesem Kontext, dass der Kommunismus eine politische Brücke zwischen China und Russland geschlagen hat, zwei Territorien, die in der Vergangenheit kaum partnerschaftliche Verbindungen pflegten, dafür häufiger Grenzstreitigkeiten und Kriege gegeneinander führten.
Die US-amerikanische Kultur dagegen ist überwiegend geprägt durch den Drang nach (religiöser) Freiheit ihrer ersten Siedler. Das Individuum steht im Mittelpunkt einer stark patriarchalischen Ordnung. Letztere merkt man, meinem Eindruck nach, in den USA noch wesentlich stärker als hierzulande. Das Machogehabe ist immer noch ein sehr dominanter Part und wird teilweise sogar immer noch erwartet. Diese beiden kulturellen Pole haben so wenig gemeinsam, dass nur Verständigung helfen kann, um Konflikte zu vermeiden.
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