Stinkstiefel

Danke für die schöne Frage.

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Ich bin überhaupt kein sozialer Mensch. Null. Meine sozialen Fähigkeiten sind dementsprechend auch ziemlich verkümmert und armselig.
Allerdings bin ich jemand, die danach strebt, zu lernen und zu wachsen. Nicht, weil es mir so sehr Spaß macht, sondern weil ich es will und das aus so vielen Gründen.
Und ich weiß, dass uns oftmals die Dinge, die wir eher ungern tun, sehr helfen können - ich wollte aus meiner Komfortzone raus. Ich wollte LERNEN, besser mit Menschen umzugehen. Besser mit MIR umzugehen und besser mit Situationen umzugehen, damit diese mich eines Tages nicht mehr so maßlos überfordern.
Außerdem bin ich grundlegend an anderen Menschen interessiert. An ihren Geschichten, an ihrem Verhalten, an ihren Persönlichkeiten. Ich lerne etwas über sie und gleichzeitig über mich selbst.

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Und aus diesen Gründen habe ich mich entschieden, alte Menschen zu betreuen. Und weil ich meinen Teil zur Gesellschaft beitragen muss und weil ich finde, dass man direkt im Geschehen mit hilfsbedürftigen Menschen diesen Beitrag am besten leisten kann.
Little did I know wie anstrengend das sein kann.
Ich bin in der Woche nur etwa 16 bis 20 Stunden dort, verteilt über alle Wochentage. Aber allein diese Zeit reicht aus, um mir 20 Nervenzusammenbrüche zu bescheren.
Allein die Geräuschkulisse ist schon mal ein Albtraum für mich. In der einen Ecke führen Person x und Person y ein angeregtes Gespräch, in der anderen Ecke schreit jemand seit drei Stunden die gleichen Namen, im Flur streiten sich zwei, dutzende brabbeln vor sich hin, aus mindestens drei Zimmern kreischt der Fernseher.
Dann muss man ständig nach einigen Bewohnern schauen, muss seine Augen quasi überall haben - was bei mir problematisch werden kann, da ich mich recht schnell ablenken oder gar ausknocken lasse, wenn so viel um mich herum geschieht.
Das hat mich, ehrlich gesagt, am Anfang fast erschIagen.
Aber irgendwann habe ich gelernt, wie ich vorgehen muss, um es mir zu erleichtern. Jetzt spreche ich gerne mit den Senioren, bin gerne bei ihnen, weil sie mich nicht verurteiIen. Ich muss sogar gestehen, dass ich mit ihnen lieber rede als mit Menschen in meinem Alter - sie haben ganz andere Themen, sprechen ernstere Dinge an, haben durch ihre Lebenserfahrung teilweise viel Ahnung von gewissen Themen, wodurch ich zusätzlich noch etwas lerne. Viele von ihnen haben bestimmte Interessen, über die sie stundenlang sprechen können und das gefällt mir, weil ich einfach nur zuhören muss und ihnen gleichzeitig etwas Gutes tue.

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Das einzige Problem, das ich habe, sind meine Kollegen. Ich habe tolle Kollegen, kein Zweifel. Nur verstehen sie mich oftmals nicht. Oder wollen nicht verstehen, wieso diese 20 Stunden in der Woche für mich so anstrengend sind - Sprüche wie "Du kannst doch nicht ernsthaft schon kaputt sein, du hast doch nur 20 Stunden in der Woche" fallen des öfteren. Aber ich nehme es ihnen nicht mehr so übeI - sie wissen einfach nicht, wie es ist, ich zu sein.

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Bis auf dass ich denke, dass ich Corona habe, ist eigentlich alles in Ordnung. Mir geht's soweit gut, bis auf ein Halskratzen und ein wenig Unwohlsein habe ich nichts.
Das Dumme ist nur, dass ich so eigentlich auf gar keinen Fall alte Leute betreuen kann/will, weil ich sie nicht anstecken möchte. Leider wird das aber von uns verlangt - so lange wir keine ausgeprägten Symptome haben, sollen wir arbeiten und danach direkt nachhause gehen.
Ich verstehe es nicht - die Gastronomie haben sie komplett dicht gemacht, obwohl die bei uns einwandfrei und recht sicher funktioniert hat. Da haben sie extrem Panîk geschoben, alles zu gemacht.
Aber wenn es um die alten Menschen geht, dann heißt es, wir sollen doch einfach auch mit Corona arbeiten.
Einerseits kann ich es verstehen, zumindest in der Pflege - es MÜSSEN ja Pflegekräfte anwesend sein, die die Menschen versorgen. Diese müssen dann aber drauf achten, dass sie extreme Hygiene-Maßnahmen beachten.
Wir von der Betreuung allerdings sollen auch weiter arbeiten gehen - ohne besondere Hygiene-Maßnahmen (außer Mundschutz, Abstand und Handhygiene). Wir verbringen viel Zeit mit den Menschen, müssen Einzelbetreuungen auf den Zimmern machen - viele Leute hören aber schIecht und man muss näher an sie gehen, damit sie einen verstehen können. Viele alte Leute sind auch uneinsichtig, verstehen den Ernst der Lage nicht und kommen nahe an einen ran bzw. missachten die Vorsichtsmaßnahmen.
Ich habe echt Angst, weil ich auf gar keinen Fall möchte, dass ich jemanden anstecke.

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Na ja. Jetzt warten wir erst mal auf die Testergebnisse. Sobald ich meines habe und positiv sein sollte, werde ich zuhause bleiben, ganz egal, ob ich jetzt keine oder kaum Symptome habe. Lieber facetime ich mit den Bewohnern und schreie ins Telefon, anstatt sie vor Ort anzustecken.
Einen Fall haben wir nämlich leider schon - und meistens bleibt es dann ja nicht dabei...

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Mein Freund und ich kamen letztes Jahr im Sommer vom See zurück und sind die schmale Straße am steppenartigen Feld zum Auto gelaufen.
Die Sonne war schon recht tief, als wir an einem Mann vorbei liefen, der an der Koppel stand und einem Esel liebevoll die Hand auf die Stirn gelegt hatte.
Der Mann war bereits recht betagt, trug ein langes Gewand, hatte ein Gebetskettchen um seine Hand gewickelt. Der Esel hielt beim Streicheln ganz still, hatte sogar die Augen leicht geschlossen - beinahe wirkte es so, als stünde die Luft still.
Die Sonne tauchte die ganze Umgebung in ein goldenes Licht und strahlte genau hinter dem Mann und dem Esel hervor.
Und als wir so an ihnen vorbei gingen, da wandte sich der Mann plötzlich in unsere Richtung, schaute uns an, als würde er uns seit schon immer kennen, verzog die Lippen zu einem vertrauten Lächeln, das Runzeln um seine Augen erscheinen ließ und begrüßte uns ("Salam") mit einer Hingabe und einer Anteilnahme, dass ich so gerührt war, dass es bis heute anhält.
Ich habe noch nie so viel unbenennbare Hingabe von einem Fremden gespürt. Ich war den ganzen Abend sehr ergriffen davon und habe mir vorgenommen, eines Tages genau so... eindrucksvoll zu werden wie dieser Mann. Wir kannten ihn nicht und doch hat er so viel Liebe und Ehrfurcht ausgestrahlt, wie er da nach seinem Gebet im Sonnenuntergang bei diesem lieben Tier stand und einfach... GEWESEN ist.

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Aus dem bisherig gelernten kann ich nur mit "Nein" antworten. Kein Mensch sollte verfoIgt oder gar schIecht und gewaIttätig behandelt werden aufgrund ReIigion/Glaube, SexuaIität, GeschIecht, Hautfarbe und so weiter.
Jeder Mensch macht FehIer, keiner ist perfekt - wieso anderen schâden wollen, während man selbst nicht frei von FehIern ist? Viel mehr sollte man sich miteinander auseinandersetzen. Man muss gewiss nicht alles tolerieren, aber zumindest sollte keine Diskrîminierung stattfinden und einander mit Respekt begegnet werden.
Ich persönlich empfinde es als alles andere als wirkungsvoll, mit Verâchtung und Ârroganz zu reagieren.

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Menschen sind aber wie gesagt nicht perfekt und diese Welt ist auch viel zu chaotisch, als dass jemals alles einwandfrei funktionieren würde, wenn man mich fragt. Das, was man als einzelner tun kann, ist, freundlich und respektvoll zu sein und sich für Gerechtigkeit einzusetzen.
Und selbst das kann zu Chaos führen, weil jedes Individuum eine andere Ansicht von Gerechtigkeit hat. Einig werden wir uns alle jedenfalls nie zu 100 Prozent. Und das ist in Ordnung, nicht?

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